Warum wir „NRW-Sonntagsfragen“ nicht mehr kommentieren

Die bisherige Analyse zur Landtagswahl zeigt, dass fehlerhafte Umfragen zu Fehlentscheidungen beitragen. Wir erläutern an dieser Stelle, warum wir zur Aufmerksamkeitsökonomie um "NRW-Sonntagsfragen" nichts aktiv beitragen.

Sozialwissenschaft und Marktforschung haben für das demokratische Geschehen einen hohen Wert. Die hier gewonnenen Erkenntnisse über gesellschaftliche Entwicklungen und Emotionen sorgen dafür, dass unterschieden werden kann: Was bleibt bloß Vermutung? Was ist eine gehaltvolle Aussage? Was ist bloß Gerede?

Aus diesem Grund beauftragen wir als Partei selbst Forschungsinstitute, um anhand von wissenschaftlichen Standards zu wissen, was die Menschen im Land bewegt. Und aus diesem Grund beauftragen große Medienhäuser Institute für die eigene Berichterstattung, denn viele Menschen wollen wissen, was die Anderen um sie herum denken.

Der Wert von sozialwissenschaftlicher Forschung bedarf in unserer medialen Demokratie dementsprechend eine gewisse Pflege. Denn immer mehr Angebote, die eben wissenschaftliche Standards eher formal einhalten, fluten im Wissen, dass es auf jeden Fall irgendwie eine Nachricht erzeugt, den Markt.

Aus den Erfahrungen der letzten Jahren sind wir zu dem Resultat gekommen, dass in NRW im Miteinander zwischen Politik und Medien diese Differenzierung nicht immer stattfindet. Dies lässt sich im Besonderen in der Nutzung der NRW-Sonntagsfrage feststellen. Die Publikation dieser Zahlen sorgt zwar für mediale Reichweite und Aufregung im politischen Betrieb, doch mit welcher Aussagekraft?

  • 2010 sieht Forsa drei Monate vor der Wahl die CDU und Ministerpräsident Rüttgers mit 11% vor der SPD. Am Ende liegen beide Parteien gleichauf und Hannelore Kraft wird Rüttgers Nachfolgerin.
  • Die Forschungsgruppe Wahlen sehen im Zuge der vorgezogenen Neuwahlen vier Wochen vor der Abstimmung ein enges Rennen mit der SPD knapp 3% vorne. Am Ende gewinnt die SPD mit fast 13% Vorsprung.
  • Forsa gibt der SPD vor der Wahl 2017 mal einen Vorsprung von 14%, mal mit 6%. Am Ende wird die CDU stärkste Partei und Armin Laschet neuer Ministerpräsident.
  • Vor der letzten Wahl sieht unter anderem auch Infratest ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen beiden Parteien, obwohl parallel in der Briefwahl die Wählerinnen und Wähler de facto anders wählten. Am Ende sind es 9% Differenz.

Nun erwidern Institute und veröffentlichende Medienhäuser auf diese enorme Diskrepanz zwischen Realität und Schlagzeile, dass man ja nie eine „Prognose“ getroffen habe. Doch hier liegt bereits ein Widerspruch an sich, denn die Veröffentlichung dieser Daten heißt nicht umsonst „Sonntagsfrage“ und suggeriert damit eine gewisse Wichtigkeit.

Fehlerhafte Umfragen führen in Politik und Medien zu strategischen Fehlannahmen

Auch Entscheidungsträger*innen in Parteien nehmen diese Zahlen natürlich wahr. Wir selbst können sagen: Auch auf Basis vorliegender Sonntagsfragen wurden während der vergangenen beiden Landtagswahlkämpfe Entscheidungen und Einstellungen getroffen, die sich im Nachhinein als fehlerhaft herausstellten.

Darüber hinaus sind Umfragen spätestens dann, wenn Wahlen de facto laufen – dies ist spätestens mit dem Start der Möglichkeit der Briefwahl der Fall – aus demokratietheoretischer Sicht höchst problematisch.

Nun gibt es für uns als Partei zwei Möglichkeiten, wie wir auf den laxen Umgang mit solchen Zahlen in NRW reagieren.

Entweder spielt man das Spiel weiter mit, ohne dem ab sofort großen Wert beizumessen. Medienanfragen beantworten Parteien in diesem Fall mit den üblichen Floskeln. Wenn die Zahlen für einen selbst gut sind, dann ruft man sich als bevorstehende Sieger aus und positioniert den politischen Kontrahenten als total unbeliebt. Und im gegenteiligen Fall sagt man, dass gewisse Faktoren durch die Umfrage noch gar nicht berücksichtigt werden.

Oder aber man entscheidet sich gegen solch ein parteipolitisches Klein-Klein und entzieht sich dem Ganzen zukünftig – auch aus Respekt vor Abonnenten und Gebührenzahlenden, die die teuren Umfragen bezahlen müssen.

Unsere Entscheidung ist klar: So lange man mit den bloßen Umfragezahlen der Sonntagsfragen* für eine spontane Reaktion angefragt wird, ist ohne Wissen über Methodik und Fragetechnik keine seriöse Einschätzung möglich. Dafür ist in Nordrhein-Westfalen mit dem Wissen um die hohe Fehleranfälligkeit die Aufregung um solche Sonntagsfragen zu hoch.

* Hier ist ausdrücklich die Sonntagsfrage genannt. Bei Umfrageergebnissen zu Themen, die Menschen im Moment der Umfrage in ihrem Alltag wirklich beschäftigen, sind auch für unsere Arbeit durchaus wertvolle Resultate möglich.